This is not a walking event

Trailrunning an der Steilküste von Cornwall

UK

Es ist sieben Uhr in der Früh, als der Flieger von Hamburg Richtung London Gatwick abhebt. An Board befinden sich 17 gut gelaunte Tide Runners, die nur ein Ziel haben: Die Teilnahme als Solo oder Staffelläufer am Endurance Classic Quarter, einem 44-Meilen-Ultratrail an der Steilküste von Cornwall entlang.

Mit dem Auto nach Cornwall

In London angekommen ging es mit zwei 9er Bussen und einem PKW weiter in Richtung Cornwall. Die ersten Minuten war der Linksverkehr etwas gewöhnungsbedürftig, aber nach gut 6 Stunden Fahrt haben wir ohne Zwischenfälle unser YHA Lizard Hostel in der Stadt Lizard Point erreicht.

Das Hostel lag abseits des Dorfes, direkt an der Küste und in einer beeindruckenden Landschaft. Erholung garantierten nicht nur unsere Zimmer mit Meerblick: Durch die Abgeschiedenheit war weder an Handy- noch an vernünftigen WLAN-Empfang zu denken. In wenigen Metern vom Hostel entfernt war das Zelt für die Startunterlagen aufgebaut und von dort brauchte man nur wenige Minuten zum Start.

Tide-Runners-Lizard-Point

Teilweise war es sehr nebelig, sodass das Nebelhorn vom Leuchtturm eingeschaltet wurde und in regelmäßigen Abständen ein Signal von sich gab. Anfangs als schlimm befunden, gewöhnte man sich recht schnell an dieses Geräusch. Nachts löste Ohropax dieses und andere Probleme auf bewährte Weise.

Die Anspannung steigt …

Die erste Nacht in viel zu kleinen Betten hatten wir hinter uns und starteten mit einem Shakeout-Run über 4,2 Kilometer in den Tag. Die Strecke führte über die Trails und machte Freude auf das, was am Samstag folgen würde.

Shakeout-Run
Shakeout-Run

Den Rest des Tage waren wir entspannt mit Essen, Einkaufen und Schlendern durch den Ort beschäftigt. Wie probierten auch die bekannteste Spezialität der Region – Cornish Pasties. Das sind Blätterteigtaschen, die mit Fleisch und Gemüse gefüllt sind. Früher als noch Bergbau in der Region betrieben wurde, hatten die Bergarbeiter ihr Essen auf diese Weise mit zur Arbeit genommen.

Pflichtausrüstung

Am Abend vor dem Lauf gab es noch das obligatorische Pastaessen, bevor es an das Packen der Rucksäcke ging. Zur Pflichtausrüstung gehörten neben der eigenen Verpflegung auch Dinge wie Handy, 20 englische Pfund, Erste-Hilfe-Set, Trillerpfeife, Rettungsdecke, Rucksack, Trinksystem mit mindestens 500 Milliliter, Kopfbedeckung und eine windfeste Jacke. Empfohlen werden außerdem Trailschuhe, Sonnencreme, Sonnenbrille sowie eine wasserabweisende Windjacke.

Die letzten Vorbereitungen

Der Wetterbericht kündige 16 Grad und bewölkten Himmel an – ein passables Laufwetter. Für die 35-Kilometer-Staffel packte ich zwei Flaschen à 500 Milliliter sowie 3 Gels und eine Tüte Sportweingummi ein. Auf der Strecke gab es einige Wasserstationen, an denen ich meine Wasserflaschen nachfüllen wollte. Im Anschluss an das Packen der Rucksäcke holten wir noch die Startunterlagen ab, bevor es auch schon ins Bett ging.

Gruppenfoto bei der Startunterlagenausgabe
Gruppenfoto bei der Startunterlagenausgabe

Das Rennen: This is not a walking event

Die Sonne war noch nicht aufgegangen – es war gegen 4 Uhr morgens –, da kam langsam Leben ins Hostel. Anziehen, Powerfrühstück (z. B. Toast mit Nutella), Spaziergänge … – alles, was der Läufer halt so vor einem Rennen macht. Das Briefing der Sololäufer begann um 6 Uhr; hier wurden nochmals die wichtigsten Dinge für den Lauf erklärt. Dazu gehörten Sicherheitshinweise, aber auch, wie man die Strecke findet etc.

Endurance CQ: Warten auf das Briefing
Endurance CQ: Warten auf das Briefing

Direkt im Anschluss ging es zur Startauftsellung und pünktlich um 6:45 Uhr fiel der Startschuss und unsere acht Sololäufer starteten zu ihrer 72 Kilometer langen Abenteuertour.

Die ganze Prozedur wiederholte sich für die Staffelläufer um 7:15 Uhr; hier fiel der Startschuss gegen 7:45 Uhr. Die ersten vier Staffelläufer aus unserer Gruppe waren auf der Strecke und für den Rest ging es in das 35 Kilometer entfernte Perranuthnoe zum Checkpoint 2, dem ersten Staffelwechselpunkt für 2er-Staffeln.

Auf dem Trail
Auf dem Trail

Warten am Checkpoint 2

Durch den frühen Start waren wir die Ersten am Checkpoint 2. Der Trail führte direkt über den Parkplatz zum Checkpoint 2, auf dem wir warteten, und so konnten wir uns langsam auf die ersten Läufer einstimmen, die in 2 Stunden erwartet wurden. Die Stimmung war entspannt, die anwesenden Leute freuten sich und erklärten uns zu „Crazy Germans“, da wir mal eben nur für einen Lauf nach England gekommen waren. Das Wetter wurde immer besser, es war ganz leicht diesig und dazu warm mit einem leichten Wind.

Warten am Checkpoint 2
Warten am Checkpoint 2

Die ersten Läufer trudelten mit einem wahnsinnig großen Vorsprung ein. Einige Athleten sahen nach den ersten 35 Kilometern noch sehr frisch aus, andere liefen äußerlich schon auf dem Zahnfleisch. Der erste Tide-Runner am Checkpoint 2 war Micha, gefolgt von Peter, Flo, Marco und Urte. Da meine Staffelpartnerin Annaleen schon im Anmarsch war, musste ich mich schnell fertig machen und konnte die anderen Läufer von uns nicht mehr sehen.

Klatsch! Nun bist du an der Reihe

Ich hatte den Chip von Annaleen übernommen und machte mich auf den Weg über die Trails. Das Hinfiebern auf diesen Moment hat mich angestachelt und so wollte ich nur noch eins: Laufen! Ein wirkliches Ziel hatte ich nicht, wollte aber ambitioniert schauen, was möglich wäre auf den nächsten 35 Kilometern.

Die ersten 2,5 Kilometer liefen noch über Trails mit ganz leichten Steigungen, bevor es auf die Straße nach Penzance ging. Nach kurzer Zeit ging es direkt an der Wasserkante mit Blick auf die Gezeiteninsel St. Michael’s Mount weiter Richtung Westen.

Blick auf die Gezeiteninsel
Blick auf die Gezeiteninsel

Für die ersten 12 Kilometer benötigte ich knapp eine Stunde bevor es kurz nach dem Hafen der Stadt Newlyn den ersten größeren Anstieg gab. Um Kraft zu sparen, ging ich alle Anstiege hoch anstatt sie zu laufen.

Nach der Straße ging es wieder auf die Trails. Die Trails bestanden teilweise nur noch aus kleineren Pfaden, es ging ständig auf und ab und dazu mussten teilweise noch kleinere Steine überlaufen werden. Für mich war so ein Trail Terrain-Neuland und trotz der hohen Konzentration hatte ich meinen Spaß.

Einer der Trails
Einer der Trails

Nach 18 Kilometern gab es den ersten längeren Downhill nach Lamorna. In Lamorna war der Checkpoint 3, wo ich meine mittlerweile leeren Trinkflaschen wieder auffüllen konnte. Nach einer kleinen Pause ging es weiter und es begann das Stück, vor dem alle Respekt hatten, da es technisch sehr anspruchsvoll sein sollte. Ich sah nur einen Berg vor mir und wusste nun, warum alle dieser Meinung waren.

Da ging es hoch!
Da ging es hoch!

Es ging einen Anstieg hoch, der nur durch Klettern mit Unterstützung der Hände bezwingbar war.

Die nächsten Passagen waren durch Auf und Abs und kleinere Flachpassagen geprägt. Einige dieser An- und Abstiege mussten über Treppen im Fels bewältigt werden. Die unterschiedlichen Höhenabstände der Stufen machten dies zu einer kniffligen Angelegenheit, da selbst langsames Treppensteigen extrem anstrengend war.

Meine Leistung ging langsam bergab, was zum einen an dem permanenten Laufen in der Sonne lag und zum anderen daran, dass sich mein Wasservorrat langsam dem Ende neigte. Ich hatte das Wetter unterschätzt: Es war definitiv keine kluge Entscheidung gewesen, nur 1 Liter Wasser und keine Kopfbedeckung mitzunehmen.

Streckenplan vom Classic Quarter
Streckenplan vom Classic Quarter

Auf dem Weg zum nächsten Checkpoint in Pothcurno passierte ich eine Steigung im Schatten, durch die zu meiner Freude ein kleiner Bergbach lief. Das Gefühl meine Arme in diesen kalten Fluss zu halten war unbeschreiblich toll. Ich nutzte die Zeit, um ein paar Minuten runterzukühlen. Nach einem kleinen Downhill hörte ich ein „Oh nein!“ und erblickte erst jetzt, dass eine riesige Steinwüsste an der Küste vor uns lag, die wir überlaufen mussten.

Die Steinwüste auf dem Trail
Die Steinwüste auf dem Trail

Nach der Steinwüste gab es einen größeren Anstieg, Flachpassagen und einen Downhill nach Penberth. Ich traute meinen Augen nicht. Wunderschöner Sandstrand, türkisblaues Wasser und die Steilküste.

Mir war gar nicht bewusst, dass es in England so extrem schöne Ecke gibt, und ich fühlte mich nicht nur wegen der Temperaturen wie in der Karibik. Für eine Fotopause hatte ich aber leider keine Kraft mehr. Dann erreichte ich die ersten Häuser von Penberth.

Für die Leute waren wir alle Helden. Selbst auf der Strecke gab es auch unter den Läufern ein ständiges „Well done!“ zu hören. Auf den Trails wurde Platz gemacht und ebenso ließ man Platz für andere Läufer. Die Stimmung empfand ich als sehr familiär, was sich auch im Tal bestätigte. Ich fragte eine Familie, ob es hier einen Wasserpunkt gäbe. Sie verneinten, könnten mir aber von ihrem Wasser geben; so konnte ich eine meiner 0,5-Liter-Flasche wieder auffüllen, ein wenig trinken, Wasser über den Kopf schütten und ab zum nächsten Anstieg. Während des Anstieges musste ich mich ein paar Mal hinsetzen, da ich mittlerweile am Limit war und eigentlich abbrechen wollte. Aber mitten im Nirgendwo abzurechen ist schwer. Also nahm ich mir vor, zumindest den nächsten Verpflegungspunkt zu erreichen und dort einen neuen Plan zu schmieden.

Die nächsten Passagen liefen nicht gut, ich musste spucken. Mithilfe des Wassers und eines Gels kam ich aber wieder etwas zu Kräften. Für die mentale Stärkung sang ich ein paar Lieder, schimpfte über den Satz „This is not a walking event“ und brüllte einfach mal den Satz von meinem Startnummerzettel, „NEVER GIVE UP“ in die Walachei.

NEVER GIVE UP
NEVER GIVE UP

Ich musste lachen und hing mich für die nächsten Kilometer an eine 3er-Gruppe, die mich gerade überholte.

Mittlerweile hatten wir nach einem längeren Downhill die Treppen zum finalen Anstieg nach Porthcurno erreicht. Der Anstieg war brutal und ich wusste nicht, ob mir nur schlecht ist oder ob ich kurz vorm Umkippen bin. Oben angekommen waren es nur noch wenige Meter zur Wasserstation.

Hier gab es erstmal Wasser, Cola, Chips und eine Wasserdusche für den Kopf, bevor ich meine Flaschen wieder auffüllte. Aber ich hatte keine Lust mehr weiterzulaufen. Doch ich konnte darüber nicht lange nachdenken, denn Flo aus unserer Crew erreichte den Verpflegungspunkt und ich freute mich tierisch, ihn zu sehen. Flo, der schon deutlich mehr Kilometer in den Beinen hatte, motivierte mich für die letzten 6 Meilen. Wie eine Maschine lief er mit mir im Schlepptau weiter. Genau das hatte ich gebraucht.

Wir gingen und liefen über Kuhwiesen und weiter durch die traumhafte Landschaft.

Wir konnten das Ziel in der Ferne sehen und endlich war da dieses Schild: One mile to go – darunter ein Tide-Runners-Aufkleber!!!

ONE MILE TO GO

Das ist Crew Love und genau dann, wenn man sie am meisten braucht. Motiviert ging es auf die letzten 1600 Meter. Flo und ich erreichten nach einem weiteren Downhill und einer leichten Steigung das Ziel, wo uns mit lautem Gebrüll die Crew in Empfang nahm.

Die unglaubliche Cheer Crew!
Die unglaubliche Cheer Crew!

Im Ziel angekommen war ich ohne Power und wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Mir war einfach nur schlecht und ich musste noch zwei Mal spucken, bevor ich realisierte, was hier gerade passiert ist.

Kleines Nickerchen im Ziel ;-)
Kleines Nickerchen im Ziel 😉

Es gab Cola, Red Bull und wir nahmen nach und nach die restlichen Läufer von uns in Empfang.

WELL DONE BOYS AND GIRLS!

Ein paar letzte Worte

Mein ersten offiziellen Trail-Lauf habe ich nun hinter mir. Auch mit dem Abstand von einigen Tagen kann ich sagen: Das war mein härtestes Rennen, das ich je gemacht habe. Ich habe viel über mich, meine Grenzen und auch über die benötigte Ausrüstung gelernt. Solche Trails werde ich nie wieder ohne Kopfbedeckung und ohne Trinkblase angehen. Getreu dem Motto „NEVER GIVE UP“ hat sich mal wieder bestätigt, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Running Crew
Glückwunsch an Annaleen, Arne, Arno, Flo, Frauke, Jennifer, Lorraine, Marc, Marco, Micha, Olli, Peter, Rachel, Sandra und Urte zum FINISH! Ihr Maschinen!

An dieser Stelle vielen Dank an Martin und Micha, die uns mit Trainingsplänen und Trainingsalternativen, aber auch mit Rat und Tat zur Seite standen. Ohne euch wäre das Rennen und das Drumherum nicht so erfolgreich und schön gewesen!!!

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